Liebe Teilnehmer und Teilnehmerinnen, am Dienstag (28.09) und Donnerstag (30.09) unserer digitalen Sommerschule werden jeweils am Abend „Kleingruppenprojekte“ durchgeführt. In den Kleingruppen werden diverse Themenfelder der “Digitalen Geographie” anhand vorgegebener Fragestellungen tiefgreifend aufgearbeitet und kritisch diskutiert. Unter Einbindung konkreter Beispiele sollen die gesammelten Aspekte anschaulich und praxisnah dargestellt werden. Gleichzeitig soll der interaktive Austausch zwischen den Teilnehmenden gefördert werden. Die genaue Beschreibung der sechs Kleingruppen finden Sie hier:
Kleingruppenprojekt A: Technologien der Digitalisierung in Krisensituationen: Tracing und Überwachung
Die Corona-Pandemie hat nahezu alle Bereiche des Alltags und der Wirtschaft nachhaltig verändert. Die Digitalisierung ist sowohl Teil, als auch Treiber dieses Veränderungsprozesses. Etwa werden zahlreiche digitalisierte Informationen wie Standort- und Bewegungsdaten zur Eindämmung und Überwachung des Infektionsgeschehens genutzt. Die Corona-Warn App und die Luca-App sind hierfür exemplarische Applikationen. Die beiden Apps adressieren eine offensichtliche medizinische Notwendigkeit, sie sind darüber hinaus jedoch auch aus kritischer Perspektive aufschlussreich, um Grenzverschiebungen in der digitalen Welt und Potentiale der Digitalisierung generell zu reflektieren. Die digitale Geographie bietet zentrale Ansatzpunkte in dieser Debatte und die Möglichkeit, räumliche Fragen kritisch zu beleuchten.
Das Kleingruppenprojekt “Technologien der Digitalisierung in Krisensituationen” beschäftigt sich mit der Nutzung digitaler Anwendungen in Krisensituationen. Der Fokus liegt hierbei insbesondere auf den Bereichen “Tracing” und “Überwachung”. Zentrale Fragen hierbei sind, welche Verschiebungen, etwa im Bereich Datenschutz, sich im Zuge der Corona-Pandemie diesbezüglich ergaben, wer oder was hierauf Einfluss hatte, welche Argumentationsstränge in der Auseinandersetzung damit unterschieden werden können und welche geographisch relevanten Fragen hieraus resultieren. Am Beispiel Corona-Warn-App und der Luca-App sollen die Gruppenmitglieder diese und angrenzende Fragen ergründen und kritisch diskutieren.
Kleingruppenprojekt B: Nachhaltigkeit und Digitalisierung: Suchmaschinen
Die Digitalisierung hat seit langem Einzug in Nachhaltigkeitskonzepte von Unternehmen gefunden. Denn einerseits war Digitalisierung lange Zeit verknüpft mit einem Versprechen von Entmaterialisierung und letztendlich Umweltschutz. Dennoch benötigen auch digitale Praktiken/Techniken materielle und nicht-materielle Ressourcen wie beispielsweise Energie. So wird Digitalität, etwa in Form von “Machine Learning”, in diesem Kontext oftmals als Medium genutzt, um beispielsweise Prozesse nachhaltiger oder effizienter zu gestalten. Ein weitaus direkterer Bezug der Themen Nachhaltigkeit und Digitalisierung ist bei neuen, grünen Suchmaschinen wie Ecosia sichtbar. Die generierten Umsätze durch das Nutzen der Suchleiste fließen in diesem Beispiel in Begrünungs – und Baumpflanzprojekte. Eine Suchanfrage hilft bei der Bindung eines Kilos CO2, 45 Suchanfragen ergeben einen Baum – so das Versprechen.
Das Kleingruppenprojekt “Nachhaltigkeit und Digitalisierung” widmet sich diesem und derartigen Versprechen anhand der Betrachtung von alternativen Suchmaschinen wie Ecosia, Lilo, Ekoru und Gexsi. Ist es sinnvoll Digitalisierung nach dem Vorbild der Suchmaschinen direkt in Nachhaltigkeitskonzepte einzubinden und wo bestehen mögliche Fallstricke? Ist beispielsweise das Taggen von Emittenten wie Shell ein Zeichen einer grünen Zensur und an welchem Ort werden die nahezu 130 Millionen durch Ecosia finanzierten Bäume gepflanzt? Die Teilnehmenden sollen sich anhand von grünen Suchmaschinen zunächst grundlegend mit der Idee von nachhaltigen Plattformen dieser Art auseinandersetzen, um anschließend einen kritischen Blick auf die tatsächliche Umsetzung der Nachhaltigkeit zu legen.
Kleingruppenprojekt C: Digitaler Humanitarismus: Humanitarian OpenStreetMap
“Putting the world’s most vulnerable people and places on the map” – dieser Leitgedanke beschreibt das Konzept von Humanitarian OpenStreetMap (kurz: Hot OSM). Partizipative Karten dienen als Medium, um vulnerablen Gruppen einen Raum der Selbstrepräsentation zu bieten und gleichzeitig post-katastrophische Infrastrukturen zu verorten. So können beispielsweise provisorische Essensausgaben, Wasserstellen und Sanitätszelte gefunden und aufgesucht werden. Risiken im Nachgang an Katastrophen, beispielsweise durch fehlende Verfügbarkeit sauberen Wassers, sollen so abgemindert werden.
Hot OSM zeigt das weitreichende Potenzial der Digitalisierung. Die Digitalisierung kann als effektives Mittel der Katastrophenhilfe “on time” genutzt werden und dazu beitragen, Menschenleben zu schützen. Die generierten Inhalte sind darüber hinaus öffentlich und können dazu beitragen, künftige Risiken zu mitigieren. Allerdings werden die freiwilligen Beiträge zu raumbezogenen humanitären Maßnahmen auch von privatwirtschaftlichen Akteuren genutzt. Der sogenannte „Philantrokapitalismus“ vereint dabei humanitäre Hilfe und neoliberale Marktlogiken.
Die Kleingruppe „Digitaler Humanitarismus widmet sich den Potenzialen von Hot OSM, lotet Grenzen der VGIs aus und zeigt auf, inwiefern humanitäre Hilfe durch philantrokapitalistische Mechanismen zur Gewinnmaximierung genutzt wird.
Kleingruppenprojekt D: Urbane Plattformökonomien
Klassische Marktplätze, auf dem Angebot und Nachfrage aufeinandertreffen, gibt es schon seit Menschengedenken. Als Plattformökonomie werden internetbasierte Geschäftsmodelle bezeichnet, die auf digitalem Wege Anbieter und Interessenten zusammenbringen. Der Mehrwert einer Plattform hängt vor allem vom Zusammenführen der Wettbewerber bzw. vom so genannten Netzwerkeffekt ab: je mehr Anbieter auf der Plattform sind, desto höher werden Erreichbarkeit und Vergleichbarkeit für Kunden ermöglicht. Mit Hilfe der Digitalisierung wurden jedoch digitale Marktplätze bzw. Plattformen geschaffen, die völlig neue Reichweiten und Vorteile für ökonomische Prozesse erzeugen. Unternehmen nutzen vermehrt Stärken von Plattformökonomien, wozu leichte Skalierbarkeit und geringe Transaktionskosten zählen. Etablierte, ökonomische Konzepte werden dadurch zunehmend herausgefordert und infrage gestellt. Vom Online-Shopping bis zum sozialen Netzwerk, von der Wohnungsbörse bis zum Lieferdienst: heute übernehmen digitale Plattformen wichtige Funktionen im Alltag und verändern und beeinflussen Wirtschaft und Gesellschaft. Dadurch entstehen auf wirtschaftlich-politischer Ebene neue Herausforderungen, wie die Bewertung oder Förderung neuer Geschäftsmodelle, der Umgang mit Daten sowie die Gewährleistung des Wettbewerbs.
Die Gruppe „Urbane Plattformökonomien“ beschäftigt sich anhand des Beispiels Airbnb mit den Auswirkungen von Plattformen. Zunächst sollen Informationen zum geschichtlichen Hintergrund sowie die Entstehung der Plattform Airbnb gesammelt werden. Dabei soll untersucht werden, welche Nutzer*innengruppen angesprochen werden und welche Vorteile/ Mehrwerte sich sowohl für Anbieter*innen als auch Nutzer*innen ergeben. Neben der Sammlung grundlegender Informationen zu Airbnb soll zudem aus einer kritisch-geographischen Perspektive hinterfragt werden, welchen Einfluss diese Plattform auf den Wettbewerb ausübt bzw. welche Folgen/ aktuellen Kontroversen sich dabei herausbilden. Hierbei kann auch mit Städtebeispielen gearbeitet werden.
Kleingruppenprojekt E: Digitale Ungleichheiten: IT & Gender
Mit der zunehmenden digitalen Vernetzung wuchsen ebenso Disparitäten. Neben den globalen Ungleichheiten (digital divide) ist auch der Zugang und die Nutzung bestimmter Gruppen vermindert. Frauen sind weltweit um ein Vielfaches weniger online als Männer und verschiedenste Studien zeigen, dass Frauen häufig weniger ausgebildet und ungeübter im Umgang mit dem Internet und mobilen Endgeräten sind und damit zusätzlich in ihrer Nutzung eingeschränkt sind.
Die Plattform “Digital Gender Gaps” (digitalgendergaps.org) bereitet diesen Problembereich auf und versucht in Echtzeit die globalen Geschlechterungleichheiten zu messen. Diskutiert anhand der Website, wie Genderungleichheiten in der digitalen Welt definiert werden, durch welche Indikatoren sie klassifiziert werden können und welche Entwicklungen sich in den letzten Jahren beobachten lassen?
Des Weiteren beschäftigt sich das Kleingruppenprojekt zu “IT & Gender” mit Strategien und Projekte, die Inklusion, Agency und Capacity von weiblichen Personen fördern sollen. Die Plattform der G20 „eskills4girls“ dokumentiert einige nationale Konzepte in diesem Kontext. Eine Auswahl soll von der Gruppe durch eine kritische feministisch-geographische Perspektive die geschlechterspezifischen Ungleichheiten diskutieren, sowie Potenziale und Fallstricke der dokumentierten Strategien herausarbeiten.
Kleingruppenprojekt F: Infrastrukturen des Internets
Als Voraussetzung für digitale Vorgänge und Prozesse sind entsprechende digitale Infrastrukturen in materieller sowie nicht-materieller Form unabdingbar. Digitale Infrastrukturen ermöglichen die Verbreitung und Nutzung digitaler Dienste und sind im Sinne der Datenübertragung ein wichtiger Bestandteil der Kommunikationsinfrastruktur.
Die Kleingruppe „Infrastrukturen des Internets“ sammelt zunächst grundlegende Informationen zu materiellen und nicht-materiellen Infrastrukturen des Internets. Ein Fokus bei der Analyse soll auf Governance und geopolitischen Aspekten digitaler Infrastrukturen liegen. Den Schwerpunkt dieses Kleingruppenprojekts soll ein Vergleich mit den möglichen Kategorien Gründung, Idee, Ziele, räumlicher Bezug, aktuelle Entwicklung, Verarbeitung und Umgang mit Daten, etc. zwischen dem Satellitennetzwerk Starlink und dem EU-Projekt GAIA-X darstellen. Abschließend sollen positive und negative Aspekte der beiden Projekte beleuchtet werden.
Kleingruppenprojekt G: Informationsgewinnung mittels VGI
Volunteered geographic information (kurz: VGI) bezeichnet geographische Informationen oder Inhalte, die auf freiwilliger Basis zumeist von privaten Personen erhoben, organisiert und für die Öffentlichkeit bereitgestellt werden. Diese werden in Form digitaler Karten festgehalten und weiterverarbeitet. Ein bekanntes Beispiel hierfür ist OpenStreetMap (OSM), eine partizipative Onlineplattform zur öffentlichen Bereitstellung von Geodaten. OSM bietet einer weltweit agierenden Community die Möglichkeit, unterschiedlichste Merkmale zu kartieren und somit die bereitgestellten Daten stetig zu erweitern. In der Freizeitbranche greifen heute zahlreiche Anbieter und Plattformen für die von ihnen angebotenen Dienste auf diese Art der Informationsgewinnung zurück.
Die Kleingruppe „Informationsgewinnung mittels VGI: Digitale Freizeitlandschaften“ setzt sich mit der Entstehung und Eigenschaften von VGIs anhand der beiden Outdoor-Dienste Komoot und Outdooractive auseinander, welche ihre Daten beide von OSM beziehen. Dabei soll untersucht werden, welchen Einfluss das jeweilige Portal auf die Freizeitgestaltung und somit die Bewegung von Menschen im Raum haben kann. Relevant für die Sommerschule ist hierbei die Frage, wer überhaupt Informationen in diese Datenbanken einbringt und einbringen kann. Kritisch hinterfragt werden sollen zudem die Interessen, Raumbilder und Vorstellungen, welche die öffentlich zugänglichen Geodaten dadurch abbilden.