2013 – Frankfurt am Main – Geographische Stadtforschung

Frankfurt am Main 2013 „Geographische Stadtforschung – Neoliberalisierung.Exklusionen.Widerstände“

Die Sommerschule fand mit freundlicher Unterstützung durch die Vereinigung von Freunden und Förderern der Goethe-Universität vom 23. bis 27. September 2013 in den Räumlichkeiten des Humangeographischen Institutes am neuen Campus Westend der Goethe-Universität Frankfurt am Main statt. In den fünf Tagen wurden Promovierende und interessierte Studierende in Master- und Bachelorstudiengängen der Geographie sowie deren Nachbardisziplinenn in die aktuellsten theoretischen und empirischen Entwicklungen der Geographischen Stadtforschung eingeführt.

Ziel der Sommerschule war es, in die inhaltlichen wie theoretischen Impulse, die aus der sozialwissenschaftlichen Stadtforschung und insb. aus dem angelsächsischen Sprachraum kommen und seit den frühen 2000ern auch im deutschen Sprachraum Fuß fassen, einzuführen und zu vertiefen. Sie bot so die Möglichkeit, sich inhaltlich mit gesellschafts-politisch relevanten Fragen nach sozialen Konflikten, ökonomischer Entwicklung, politischer Macht oder In- und Exklusionsprozessen im städtischen Raum auseinanderzusetzen.

Bericht zur Sommerschule aus dem „Rundbrief Geographie“

Sommerschule „Geographische Stadtforschung: Neoliberalisierung – Exklusionen – Widerstände“

23. bis 27. September 2013
am Institut für Humangeographie der Goethe-Universität Frankfurt am Main

Städtische Themen sind wieder verstärkt auf der öffentlichen Agenda, allen voran städtische Proteste sowie Gentrification und Mietpreissteigerungen. Entsprechend ihres Untertitels (Neoliberalisierung – Exklusionen – Widerstände) lag der Fokus der Sommerschule zur Geographischen Stadtforschung auf Theorien und Themen, die sich mit städtischen Konflikten und Kämpfen sowie Aneignungen und Widerstandsformen befassen. Diskutiert wurden die Themen von insgesamt rund 30 Dozierenden und über 60 Promovierenden und Studierenden (Bachelor- und Masterlevel) von annähernd 30 Hochschulstandorten der BRD, Österreichs und der Schweiz (und sogar je einer TeilnehmerIn aus Belgien, den Niederlanden und Spanien). Aus Kapazitätsgründen konnten zahlreiche weitere Anmeldungen leider nicht berücksichtigt werden.

Auch die vierte Humangeographische Sommerschule setzte auf die von vorherigen Veranstaltungen in Erlangen, Heidelberg und Münster bewährte Mischung verschiedener Lehr- und Diskussionsformen. In den sechs Theoriemodulen „Politische Ökonomie der Stadt: David Harvey“, „Henri Lefebvre – Theorie und Kritik der Stadt“, „Wissen | Macht | Stadt. Gouvernementalität und Kritik im Anschluss an Foucault“, „Feministische Stadtforschung“, „Neue Theorien des Politischen – Unvernehmen und political agency in städtischen Kämpfen“ und „Phänomenologie als Methode der Kritik?“ konnten TeilnehmerInnen in kompakter Form und auf Basis zuvor versandter Lesetexte Einblicke in aktuelle Theoriedebatten der Stadtforschung gewinnen. Konkreter wurde es in zwölf Themenmodulen aus so unterschiedlichen Bereichen wie Migration, Protest, Ökologie, Körper, Infrastruktur, Neofaschismus, ÖPNV oder Kreativität. Exkursionen zu Prostitution und illegalisierten Drogen im Frankfurter Bahnhofsviertel, zur Altstadtrekonstruktion auf dem Römerberg, über den Campus Bockenheim und den IG-Farben-Campus der Goethe-Universität sowie zu Orten der Migration und des Grenzregimes in der Stadt gaben vertiefte Einblicke vor Ort.

Zusätzlich gab es drei Keynote Lectures. Am ersten Tag sprach Ilse Helbrecht (HU Berlin) zu Stand, Relevanz und aktuellen Forschungsfragen der Gentrification-Forschung. Unter Bezug auf gemeinsam mit Studierenden gewonnene Forschungsergebnisse zur Situation in Berlin betonte sie insbesondere, dass die Forschung viel zu wenig über die von Gentrifizierungsprozessen Vertriebenen wisse, anstelle einer gesamtstädtischen oder regionalen Perspektive viel zu sehr auf einzelne Quartiere fokussiert sei und sie schließlich über zu wenig empirisches Wissen darüber verfüge, wie Politiken der „sozialen Mischung“ zu Vertreibungsprozessen beitragen. Am zweiten Tag stellte Christian Schmid (ETH Zürich) Thesen zu einer aktuellen Epistemologie des Städtischen im Anschluss an Henri Lefebvre und dessen 1970 formulierter Hypothese der vollständigen Urbanisierung der Gesellschaft vor. Außerdem präsentierte er Zwischenergebnisse eines laufenden Forschungsprojektes, in dem er gemeinsam mit MitarbeierInnen auf Basis dieser Epistemologie aktuelle Prozesse in acht Metropolen komparativen und mittels neuer Termini beforscht. Beide Vorträge wurden von lebhaften Diskussionen gefolgt, in denen neben Nachfragen und Ergänzungen auch Widerspruch und Forderungen nach Präzisierung laut wurden.

Für die dritte Keynote Lecture konnte mit dem freien Publizisten und Stadtforscher Klaus Ronneberger der vermutlich beste Kenner der Entwicklung der Stadt Frankfurt gewonnen werden, der aus der langen Geschichte der Global City Formierung Frankfurts berichtete. Dabei verwob er so unterschiedliche Aspekte wie die jahrhundertelange Tradition von Börse und Finanzplatz, Industrialisierung und Deindustrialisierung, die Rolle des jüdischen Leben in der Stadt, Hausbesetzungen, Flughafenausbau und Fluglärm, migrantische Kämpfen, den Weg der Spontis in die Mitte der Gesellschaft und nicht zuletzt auch die akademischen Auseinandersetzungen um die theoretische Interpretation dieser Prozesse zu einem Narrativ, das ein Paradebeispiel für kritische Stadtforschung jenseits des Elfenbeinturms bot. Der Vortrag (vgl. Foto 2) fand als öffentliche Veranstaltung im studentischen Café KOZ statt und wurde auch von zahlreichen BürgerInnen der Stadt besucht, die nichts mit der Sommerschule oder der Universität zu tun haben. TeilnehmerInnen und Dozierenden der Sommerschule nahmen zudem an stadtpolitischen Abendveranstaltungen zu genossenschaftlichem Wohnen (im Studierendenhaus) sowie zu den Blockupy-Protesten im selbstverwalteten Zentrum ExZess (mit VoKü, also Volksküche) teil. Dasselbe gilt für die Veranstaltungen des bundesweiten Aktionstages „Wem gehört die Stadt?“ am Samstag nach der Sommerschule, sei es in Frankfurt oder anderswo.

An verschiedenen Stellen und in verschiedener Hinsicht war es ein Ziel der Sommerschule, Wissensvermittlung und Diskussionen über urbane Prozesse und Kämpfe in einen Dialog mit den „Gegenständen“ kritischer Stadtforschung zu bringen. Theoretische Debatten mit angewandter Forschung mit und auf der Seite von Subalternen und sozialen Bewegungen zu verbinden traf, wie die Debatten im Laufe der fünf Tage zeigten, unter den TeilnehmerInnen auf großen Zuspruch. Vielfach beklagten sie die aus ihrer Sicht zu große Distanz geographischer Stadtforschung zu aktuellen urbanen Auseinandersetzungen und Bewegungen und forderten die Wissenschaft zu eingreifenden Praktiken auf.

Bernd Belina und Daniel Mullis

Einen weiteren Bericht hat Jörn Hamacher in der s u b \ u r b a n, Band 2, Heft 1 veröffentlicht.

Programm der Sommerschule

Die Sommerschule gliedert sich in Theoriemodule (Montag und Dienstag), Themenmodule (Donnerstag), Keynote Lectures und eine Exkursion (Mittwoch).

Keynotes

Montag, 23. Sept. 2013 | 18 Uhr | Ort: Casino 1.811
„Immer noch Gentrification“? Perspektiven geographischer StadtforschungProf. Dr. Ilse Helbrecht (Berlin)

Dienstag, 24. Sept. 2013 | 18 Uhr | Ort: Casino 1.811
Kommodifizierung des Städtischen: Zur komparativen StadtforschungProf. Dr. Christian Schmid (Zürich)

Donnerstag, 26. Sept. 2013 | 19 Uhr | Ort: KOZ, Studierendenhaus (Campus Bockenheim)
Global City Frankfurt
Klaus Ronneberger

Theoriemodule

Die 6 Theoriemodule werden jeweils zweimal angeboten. So können von den 6 theoretischen Einführungsblöcken insgesamt 4 besucht werden. Im Vorfeld wurden für die Module einführende Texte benannt (vgl. unten). Die aufmerksame und gründliche Lektüre wird für die Teilnahme vorausgesetzt. Sich im Vorfeld zu überlegen, an welchen 4 Modulen partizipiert werden soll, ist also unerlässlich!

Politische Ökonomie der Stadt: David Harvey
Bernd Belina, Sebastian Schipper & Felix Wiegand (Frankfurt a.M.)
Montag , 16:15 & Dienstag, 9:15 | Ort: PEG 2.G074
Das Werk von David Harvey ist seit mehr als 40 Jahren ein wesenticher Bezugspunkt kritischer Stadtforschung. Es macht konkrete Zusammenhänge in direkter Bezugnahme auf die Marxsche Politische Ökonomie analytisch zugänglich und fragt nach möglichen Perspektiven für emanzipatorische Politiken. In unserem Theoriemodul wollen wir zentrale Thesen, Begriffe und Konzepte von Harveys urbaner Politischer Ökonomie gemeinsam rekonstruieren und ihre Aktualität diskutieren.

  • Harvey, David (1989): The Urban Process under Capitalism: A Framework for Analyses, in: Ders: The Urban Experience, Baltimore: Johns Hopkins University Press, 59-89.
  • Harvey, David (2008): The Right to the City, in: New Left Review 53, September/October 2008, 23-40 bzw. Kapitel 1 (3-26) in: Rebel Cities. From the Right to the City to the Urban Revolution.

Henri Lefebvre – Theorie und Kritik der Stadt
Anne Vogelpohl (Hamburg)
Montag, 16:15 & Dienstag, 9:15 | Ort: PEG 2.G084
Die Arbeiten des französischen Philosophen und Soziologen Henri Lefebvre stehen derzeit hoch im Kurs. Denn er hat nicht nur eine Theorie entworfen, die es erlaubt komplexe Stadt- und Raumentwicklungen analysieren zu können. Auch hat er darin immer eine kritische Perspektive eingenommen und Alternativen zur aktuellen Stadt reflektiert. Dazu gehören die Thesen zum ‚Recht auf Stadt‘. In diesem Theoriemodul lernen wir die Basisargumente von Henri Lefebvre kennen und diskutieren ihre gegenwärtige Brauchbarkeit an aktuellen städtischen Konfliktfeldern.

  • Lefebvre, Henri (1996): Right to the City. In: Lefebvre, Henri: Writings on Cities. Hrsg. von Eleonore Kofman u. Elizabeth Lebas. Malden, Oxford, Victoria: Blackwell, S. 147-159.
  • Gilbert, Liette u. Mustafa Dikeç (2008): Right to the City — Politics of Citizenship. In: Goonewardena, Kanishka, Stefan Kipfer, Richard Milgrom u. Christian Schmid (Hrsg.): Space, Difference, Everyday Life — Reading Henri Lefebvre. New York, London: Routledge, S. 250-263.

Wissen | Macht | Stadt. Gouvernementalität und Kritik im Anschluss an Foucault
Marit Rosol & Mathias Rodatz (Frankfurt a.M.)
Montag, 16:15 & Dienstag, 9:15 | Ort: PEG 2.G070
Das Problem des Regierens verbindet die beiden Hauptforschungsrichtungen in Foucaults späten Arbeiten: die ‚Genealogie des modernen Staates’ und ‚des modernen Subjekts’. Regieren, so die These, fungiert im modernen Staat und in modernen Gesellschaften durch vermittelnde Mechanismen, in denen Herrschaftstechnologien mit Selbstführungstechniken gekoppelt werden. Führung setzt Wissen voraus und dieses Wissen ist nicht neutral, sondern macht bestimmte Möglichkeiten der Intervention (und damit des Handelns) plausibler als andere. Das Modul führt anhand einer Reihe von zentralen Begriffen (u.a. Problematisierung, Rationalität, Subjektivierungsweisen) in die Perspektive ein und diskutiert, insbesondere anhand der Methode der Genealogie, wie sich städtisches Regieren damit kritisch analysieren lässt.

  • Bröckling, Ulrich; Susanne Krasmann; Thomas Lemke (2000): Gouvernementalität, Neoliberalismus und Selbsttechnologien. In: Ulrich Bröckling; Susanne Krasmann; Thomas Lemke (Hg.): Gouvernementalität der Gegenwart. Studien zur Ökonomisierung des Sozialen. Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 7-40.
  • Foucault, Michel (2005 [1982]): Subjekt und Macht. In: D. Defert und F. Ewald (Hrsg.): Analytik der Macht. Frankfurt / M. S. 240-263. (Dreyfus, H. / Rabinow, P. (1982): Michel Foucault: Beyond Structuralism and Hermeneutics, Chicago: 208-226; in dt. Übersetzung 1987).

Feministische Stadtforschung
Nadine Marquardt & Verena Schreibe (Frankfurt a.M.)
Dienstag,  11:15 & 14:15 | Ort: PEG 2.G070
In diesem Theoriemodul befassen wir uns mit feministischen Perspektiven auf den Zusammenhang von Identität und Raum und mit feministischer Stadtkritik. Daran anknüpfend entwickeln wir insbesondere unter Rückgriff auf das interdisziplinäre Konzept der „Intersektionalität“ einen integrierten Blick auf Ungleichheiten in der Stadt.

  • Valentine, Gill (2007): Theorizing and Researching Intersectionality: A Challenge for Feminist Geography. The Professional Geographer 59 (1), S. 10–21.
  • Wasti-Walter, Doris (2010): Gender Geographien. Geschlecht und Raum als soziale Konstruktionen, Stuttgart, Franz Steiner Verlag, S. 19-58.

Neue Theorien des Politischen – Unvernehmen und political agency in städtischen Kämpfen
Iris Dzudzek & Alexander Vorbrugg (Frankfurt a.M.)
Dienstag,  11:15 & 14:15 | Ort: PEG 2.G074
Ob arabischer Frühling, europäische Krisenproteste oder Unruhen in den Vorstädten von London oder Stockholm: seit Ausbruch der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise scheint die Welt in Aufruhr. Während die einen in den Aufständen und Platzbesetzungen eine neue Form politischen Handelns sehen, sprechen andere ihnen solche politische Qualität ab. In jedem Fall scheinen diese Artikulationen gewohnte Modi von Politik zu unterlaufen und werfen Fragen nach der Repräsentierbarkeit ihrer Subjekte auf. Das Modul diskutiert Möglichkeiten und Grenzen neuer Theorien des (Post-)Politischen für das Verständnis gegenwärtiger Formen von Unvernehmen und political agency in städtischen Kämpfen.

  • Rancière, J. (2011): Moments politiques. Interventionen 1977-2009. Zürich. Daraus: “Vorwort”, S. 7-14, und “Die politische Unreinheit”, S. 151-161.
  • Butler, J. (2011): Bodies in Alliance and the Politics of the Street. In: transversal – eipcp multilingual webjournal, Jg. 9, Online.

Phänomenologie als Methode der Kritik?
Jürgen Hasse (Frankfurt a.M.)
Dienstag, 11:15 & 14:15 | Ort: PEG 2.G084
Phänomenologie gilt im Allgemeinen – allzumal unter dem dogmatischen Druck des Konstruktivismus – als das Andere der Kritik. An Beispielen wird zu diskutieren sein, worin der methodologisch spezifische Beitrag der Neuen Phänomenologie für eine sachlich differenzierte Kritik von Prozessen räumlicher Vergesellschaftung gesehen werden kann.

  • Großheim, Michael; Kluck Steffen (2010): Phänomenologie und Kulturkritik – Eine Annäherung, In: Großheim, Michael; Kluck Steffen (Hgg.): Phänomenologie und Kulturkritik. Über die Grenzen der Quantifizierung, Karl Alber, Freiburg, S. 9-36.

Themenmodule

Gesamthaft werden 14 Themenmodule in vier Zeitslots angeboten. Dies bedeutet, dass 4 der 14 Module besucht werden können. Eine textbasierte Vorbereitung ist nicht vorgesehen.

Von gefährlichen „Konzentrationen“ und produktiven „Communities“.  Migration, Rassismus und Neoliberalismus in der Stadt
Mathias Rodatz (Frankfurt a.M.)
Donnerstag, 9:15 | Ort: PEG 2.G070
„Die Türken kommen – Rette sich wer kann“. Seit mehr als 40 Jahren wird der Untergang deutscher Städte im Angesicht von Migration prophezeit. In der aktuellsten Variante fürchtet man „Armutsflüchtlinge aus Osteuropa“ (oder schlicht „Roma und Sinti“), die den „sozialen Frieden“ in den Stadtteilen bedrohten. Im Modul werden wir eine Reihe von Problematisierungen aus städtischen Diskursen analysieren („Ausländerkonzentrationen“, „Parallelgesellschaften“, „Migrantenökonomien“). Dabei arbeiten wir den Zusammenhang von Rassismus, Sozial- und Raumordnungspolitik heraus und diskutieren seinen Wandel vor dem Hintergrund von Neoliberalisierungsprozessen.

Sozialproteste und das Ringen um Raum
Daniel Mullis & Tino Petzold (Frankfurt a.M.)
Donnerstag, 9:15 | Ort: PEG 2.G074
Gesellschaftliche Verhältnisse, so Henri Lefebvre „werden nur in und durch Raum wirklich existent. Ihr Medium ist räumlich.“ In Zeiten der Krise nehmen gesellschaftliche Kämpfe zu und somit auch das Ringen verschiedener gesellschaftlicher Kräfte um Raum. Die Blockupy-Aktionstage 2012 und 2013, die das Ziel hatten, den Protest „gegen das Krisenregime der Europäischen Union“ in die global city Frankfurt am Main zu tragen sowie die dagegen aufgefahrene staatliche Polizierungsstrategie sind hierfür beispielhaft. Im Modul werden wir uns anhand empirischer Fragmente der Blockupy-Aktionstage dieses Ringen um Raum ansehen und theoretisch reflektieren, was ein geographischer Blick auf Sozialproteste leisten kann.

Umkämpfte urbane Ökologien
Bettina Köhler (Wien)
Donnerstag, 9:15 | Ort: PEG 2.G084
Jüngeren Debatten zu „urbaner politischer Ökologie“ begreifen die „Stadt“ nicht als das Gegenstück zur „Natur“ sondern fokussieren mit dem Begriff des „Metabolismus“ (Stoffwechsels) auf die wechselseitige Verflechtung von Natur und Gesellschaft. Dabei wird herausgearbeitet, wie sich in den aktuellen und historischen Prozessen der Produktion von Städten und „urbaner Natur“ Machtverhältnisse einschreiben, worüber sozialräumliche Ungleichheiten (re)produziert und immer wieder umkämpft werden.

Politische Geographien geteilter und wiedervereinigter Städte
Paul Reuber & Patrick Niemann (Münster)
Donnerstag, 11:15 | Ort: PEG 2.202
Immer wieder in der Geschichte geraten Städte durch gesellschaftliche Konflikte und Kriege zwischen die Frontlinien und werden geteilt. Dies hat oft gravierende Folgen. An Beispielen aus Südosteuropa (u.a. Mostar) und Deutschland (Berlin) wird in diesem Modul verdeutlicht, welche Rationalitäten in Teilungs- und Wiedervereinigungsprozessen greifen, und wie auf der Ebene räumlicher Repräsentation auch Wiedervereinigungsprozesse die Zuschreibungen des politisch/religiös ‚Eigenen‘ und Fremden‘ aufgreifen und fortschreiben.

Eine „Polizeistadt“ ? – Kritische Ansätze
Mélina Germes (Berlin)
Donnerstag, 11: 15 | Ort: PEG 2.G070
Die Polizei trägt zur Produktion der Stadt bei – zur räumlichen Exklusionen am Beispiel „gefährlicher“ Viertel genauso zur „Ordnung im öffentlichen Raum“ am Beispiel des Policings von urbanen Widerständen. Das Themenmodul wird diese zwei Dispositive sowie ihre gesellschaftliche Kritik anhand aktueller Beispiele beleuchten.

Urbane Proteste im Globalen Süden
Martina Blank (Frankfurt a.M.)
Donnerstag,  11:15 | Ort: PEG 2.G074
Proteste im globalen Süden werden in Gegenüberstellung zu jenen des globalen Nordens gerne auf „basic needs“ reduziert. Die empirische Forschung zeichnet ein anderes, weitaus komplexeres Bild. Am Beispiel ausgewählter Proteste werden wir uns verschiedene Akteurstypen, Themen und Formen städtischer Proteste anschauen und versuchen, das spezifisch „südliche“ dieser Proteste herauszuarbeiten.

Die „Resiliente Stadt“ – Diskurs und Kritik
Henning Füller (Erlangen)
Donnerstag, 11:15 | Ort: PEG 2.G084
Die Anrufung lokaler Widerstands- und Selbstheilungskräfte ist derzeit zeitgemäß, als Antwort auf ökonomische Krisen, Klimawandel, den Schutz kritischer Infrastrukturen, etc. In dem Modul möchten wir die politische Agenda der „Resilienten Stadt“ hinterfragen. Unter anderem die Passfähigkeit mit einer neoliberalen Steuerung, der entpolitisierende Krisenbegriff und die irreführende Analogie von Stadt und komplexen Ökosystemen soll auseinander gesetzt werden.

Körper in städtischen Räumen
Anke Strüver & Joscha Metzger (Hamburg)
Donnerstag, 14:15 (ganzer Nachmittag!)| Treffen: PEG 2.202
Menschliche Körper sind Ausdruck gesellschaftlicher Machtverhältnisse und stehen über diese Machtverhältnisse in enger Beziehung zur Wahrnehmung, Nutzung und Aneignung städtischer Räume. Im Zentrum dieses Moduls steht damit das Wechselverhältnis von verkörperten Subjekten und Stadträumen: Am Beispiel der Inkorporierungsprozesse gesellschaftlicher Machtverhältnisse entlang unterschiedlichster Identitätskategorien wird anhand aktueller Stadtentwicklungsprozesse diskutiert, wie verkörperte Subjekte städtische Räume produzieren und wie räumliche Strukturen Subjekte und deren Verkörperungen „regieren“.

Städtische Infrastrukturen: von der Privatisierung zur Rekommunalisierung?
Matthias Naumann (Erkner)
Donnerstag, 14:15 | Ort: PEG 2.G070
Die Entwicklung von Städten war in den letzten beiden Jahrzehnten von der umfassenden Privatisierung und Kommerzialisierung öffentlicher Unternehmen und Dienstleistungen geprägt. Ausgehend von wachsenden Protesten gegen Privatisierungsentscheidungen haben sich in jüngster Zeit zahlreiche Initiativen für die Rekommunalisierung städtischer Infrastruktur gebildet, die auch grundsätzlich eine Neubestimmung öffentlicher Aufgabenträger einfordern.

„Haben auch Neonazis ein Recht auf Stadt?“. Rechtsradikale Territorialisierungen und antifaschistische Gegenwehr
Thomas Bürk (Berlin)
Donnerstag, 14:15 | Ort: PEG 2.G074
Rassismen und rechtsradikale, neonazistische Ideologien sind nicht nur immanent sozialräumliche Konzepte, sie fußen auch auf der Re/Produktion dieser Machtverhältnisse durch alltägliche Praktiken des „otherings“, der nationalstaatlichen, administrativen und politischen Territorialisierung von Zugehörigkeit und Ausschluss. Rechtsradikale und rechtspopulistische Aktivitäten müssen daher auch in ihrer sozialräumlichen, historisch und lokal kontingenten Dynamik verstanden und bekämpft werden.

Ökologie und Stadt
Annika Mattisek & Cindy Sitte (Dresden)
Donnerstag, 14: 15| Ort: PEG 2.G084
Das Modul „Ökologie und Stadt“ beschäftigt sich mit dem Konstruktionscharakter und den politischen Machtwirkungen städtischer ökologischer Leitbilder (z.B. nachhaltige Stadt, energie- und klimagerechte Stadt, resiliente Stadt, kompakte und durchmischte Stadt). Anhand von Beispieltexten werden unterschiedliche Problemdefinitionen und Lösungsvorschläge, sowie daraus resultierende Machtwirkungen analysiert und diskutiert.

(Neo)Liberalisierung des öffentlichen Stadtverkehrs?
Oliver Schwedes (TU-Berlin) & Martin Lanzendorf (Frankfurt)
Donnerstag, 16:15 | Ort: PEG 2.G070
Diskutiert und bewertet werden die Reformen im Öffentlichen Verkehr der letzten zwanzig Jahre. Nach der Bestandsaufnahme werden alternative Entwicklungsperspektiven entwickelt, die eine nachhaltige Verkehrsentwicklung unterstützen und sich an dem Leitbild einer neuen ‚Öffentlichen Mobilität‘ orientieren.

Kreativität – ein Mantra der Gegenwart
Catherine Robin (Zürich)
Donnerstag, 16:15 | Ort: PEG 2.G074
Der Kreativitätsbegriff ist heutzutage omnipräsent. Schlagworte wie Kreative Städte, Kreative Klasse oder Kreativwirtschaft scheinen die Hoffnungsträger der Gegenwart zu sein. In diesem Modul beschäftigen wir uns mit den vielschichtigen Hintergründen und Konstruktionsleistungen und versuchen hinter die Fassade des offensichtlichen, normativen Diskurses zu blicken.

Jenseits der Drittwelt Stadt
Boris Michel (Erlangen)
Donnerstag,  16:15 | Ort: PEG 2.G084
In diesem Themenmodul werden wir uns mit jüngeren Debatten zur Urbanisierung im Globalen Süden beschäftigen. Dabei schließen wir an Jennifer Robinsons Kritik an den dominanten Formen der Stadtforschung an, welche eine folgenschwere Unterscheidung zwischen einerseits einer theoretisch versierter Stadtforschung in und zu den Metropolen im Nordens sowie andererseits einer Forschung zu Städten im Entwicklungskontext vornimmt. Ziel ist es, eine postkoloniale Perspektive auf Stadtforschung zu richten.

Exkursionen

Am Mittwoch finden vier Exkursionen statt. Darüber soll das theoretisch diskutierte an konkreten Fallbeispielen im ‚Feld‘ in Frankfurt thematisiert und betrachtet werden.

Prostitution im Bahnhofsviertel
Jenny Künkel (Frankfurt a.M.)
Mittwoch, 14:00 | Ort: PEG 2.G070
Die Exkursion zeigt Marginalisierung und Kontrolle von Prostitution (und dem zum Teil Überschneidungen und Parallelen aufweisenden Thema Drogen) im Bahnhofsviertel auf. Sie beginnt mit (Gruppendiskussionen zu) der theoretischen und politischen Perspektiven auf Prostitution und dem stadträumlichen Umgang damit. Ein Rundgang durch das Viertel zeigt und erklärt die dortigen Gentrifizierungsprozesse, damit einhergehende Verschärfungen der Sicherheitspolitik und die Folgen für marginalisierte Gewerbe.
Folgende Prozesse werden Thema sein: Frankfurt hat ein sehr typisches Bahnhofsviertel, in dem in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts verschiedene marginalisierte Gruppen konzentriert wurden. Seit ca. 10 Jahren wird diese Konstellation immer weniger von einem Angst- und Kontrolldiskurs begleitet, sondern auch als „bunte“ „Vielfalt“ vermarktet. Staatliche und private Akteur_innen fördern die Gentrifizierung des Viertels: z.B. mit einem 20 Millionen Euro schweren Förderprogramm für Investitionen in Wohnen („Förderrichtlinie Bahnhofsviertel“), der langen Nacht des Bahnhofsviertels, und last but not least einer Verschärfung der Ordnungspolitik. 2004 verstärkte die Stadt mit dem Programm „Offensive Sozialarbeit, Sicherheit, Intervention und Prävention“ (OSSIP) die ordnungspolitische Seite des „Frankfurter Wegs“ in der Drogenpolitik. Polizei und Soziale Arbeit lenken Konsument_innen verstärkt in die Hilfseinrichtungen. Die Sicherheitsoffensive Bahnhofsviertel 2010/11 knüpft an die starke Tradition der Repression des Straßenstrichs in Frankfurt an. Der Strich im Bahnhofsviertel wurde bereits in den 1960/70er Jahren in Großbordelle „verhäuslicht“ (Löw/Ruhne). 2010/11 verdrängten Landes- und Stadtpolizei – unter Federführung und Profilierung des CDU-Innenministers Rhein, der bald für den Oberbürgermeisterposten kandidierte – neue migrantische Straßensexarbeiterinnen (meist südosteuropäische Roma) aus dem Viertel.

Ein Spaziergang durch Geschichte, Identität und „Disneyland“: die Altstadtrekonstruktion in Frankfurt
Lidia Monza (Frankfurt a.M.)
Mittwoch, 10:30 | Ort: vor PEG-Gebäude
Im Mittelpunkt des Stadtrundgangs steht die Rekonstruktion der Frankfurter Altstadt. In welcher Weise wird der historisierende Neubau der Altstadt das Image von Frankfurt verändern? Vieles deutet darauf hin, dass die Art und Weise der angedachten Inszenierung von Altstadt ein Mittel zur Steigerung der lokalen sowie nationalen und internationalen Wettbewerbsfähigkeit der Stadt darstellen wird. Die Altstadtrekonstruktion sollte deswegen im Kontext der Festivalisierung der Stadt gelesen werden. Sie dient als theatralische Bühne, als eine Art „Disneyland“, der Schaffung einer neuen städtischen Identität, die sowohl nach innen an die eigenen Bürger wie auch nach außen an den zwischenstädtischen Wettbewerb um Aufmerksamkeit gerichtet ist.

Campus und Stadt: Die Uni, Kritische Theorie, Subkultur und Neoliberalisierung der Hochschule
Jürgen Schardt, Daniel Mullis & Iris Dzudzek (Frankfurt a.M.)
Mittwoch, 10:00 | Ort: vor PEG-Gebäude
Die Geschichte der Frankfurter Universität ist in vielerlei Hinsicht geprägt von linker Theorie und Praxis, Schlagworte sind Kritische Theorie, 68er Revolte und Häuserkampf. Diese Geschichte ist eng mit dem Campus Bockenheim verbunden, der ab 2015 für ein städtisches „Leuchtturmprojekt“ abgerissen werden soll. Der neue Campus um das ehemalige IG-Farben Hauptgebäude bricht nicht nur wegen seiner herrschaftlichen Bauweise mit der demokratischen Idee von Uni, sondern auch strukturell wird Mitbestimmung und Selbstorganisation verunmöglicht und die Ökonomisierung der Hochschule vorangetrieben.
In der Exkursion werden wir vergangene und gegenwärtige Orte der Universität aufsuchen und diskutieren, welche Bedeutung die unterschiedlichen Materialisierungen gesellschaftlicher Kräfteverhältnisse für die Hochschule als möglichen Ort von Herrschaft und Widerstand haben.

Migration und europäisches Grenzregime – Orte der Migration in Frankfurt/M.
Sebastian Leierseder (Bildungskollektiv Bleiberecht, Frankfurt a. M.)
Mittwoch, 10:00 | Ort: vor PEG-Gebäude
Im Rahmen der Formierung eines europäischen Migrations- und Grenzregimes seit den 1990er Jahren hat sich ein „Mehrfachgrenzraum“ konstituiert, in dem nationalstaatliche und EU- bzw. Schengengrenzen von einem flexiblen Netz weiterer Kontrollpunkte und Überwachungsinstitutionen überlagert werden. Die dadurch produzierten Räume sozialen Ausschlusses stehen im Fokus der Exkursion. Das „Bildungskollektiv Bleiberecht“ führt in einem antirassistischen Stadtrundgang zu (symbolischen) Orten in der Frankfurter Innenstadt, die bewusst mit den Stereotypen über Migrant_innen brechen und dabei gerade Unsichtbare Räume sichtbar machen. An mehreren Stationen werden die Lebensverhältnisse von Menschen im Asylverfahren und mit prekärem Aufenthaltsstatus, Formen institutioneller Diskriminierung und deren Materialisierung beispielsweise durch zentralisierte Gemeinschaftsunterkunft in Lagern, Stratifizierung auf dem Arbeitsmarkt und Ausschluss von Mobilitätsrechten thematisiert. Die extremste Form der Produktion von (räumlicher) Ungleichheit wird beim Besuch im ehemaligen Abschiebegefängnis Klapperfeld in den Blick genommen. Den Rundgang kennzeichnet dabei ein Blick, der stets auch danach fragt, welche widerständigen Praxen von Migrant_innen selbst sich im umkämpften Raum der Migrationpolitik finden lassen und wie diese unterstützt werden können. Das Konzept des Rundgangs baut auf einem pädagogisch begleiteten Stadtrundgang auf und ermöglicht daher eine interaktive Auseinandersetzung mit dem Thema, die auch auf erfahrungsbasierte Vermittlungsmethoden und Gruppendiskussionen zurückgreift.

Impressionen